Geben Sie Ihrem Hund aus dem Tierschutz die Zeit die er braucht um anzukommen.
Den Hund beschützen z.B. vor distanzlosen Artgenossen und distanzlosen Menschen. Gerade unsichere Hunde brauchen unsere Unterstützung. Fehlt diese, "regeln" sie die Situation häufig irgendwann selber und dann kann auch mal Blut fliessen.
Der Tierschutzhund zieht ein und wird häufig überschüttet mir Erwartungen. Er soll mit den Kindern spielen und sich richtig knuddeln lassen, Herrchen hat schon die ersten Joggingrunden geplant und Frauchen freut sich auf Kuschelabende auf dem Sofa. Nicht zu vergessen natürlich ist die Erwartung von Leinenführigkeit und ein tadelloses Benehmen in der Öffentlichkeit. Was sollen denn sonst die Nachbarn sagen ?
Die Menschen haben bereits vor dem Einzug alle Freunde im Umkreis die Hundehalter sind angesprochen, mit deren Hunden soll künftig ausgiebig getobt werden. Wenn die Menschen miteinander befreundet sind, haben die Hunde sich schließlich auch gut zu verstehen, die nächste Grillparty ist schon geplant.
Der gut sortierte Hundebedarfsladen im Ort ist jetzt um ein paar Hundert Euro reicher und das Haus wurde generalstabsmäßig für den Neuzugang eingerichtet. In jedem Zimmer mindestens ein Hundebett, Berge von Spielzeug, Kauartikel, Premiumfutter und Leckerchen, Halsband, Geschirr, Leine, Flexileine, Hundepfeiffe, Klicker...
Der Grunderziehungskurs in der Hundeschule ist ebenfalls gebucht und bezahlt. Am Folgetag nach dem Einzug geht es los. Zuerst soll der neue Hausgenosse Sitz, Platz, Fuß in einer Gruppe von ca.10 Hunden lernen. Man ist froh einen Platz ergattert zu haben, denn der Kurs ist beliebt. In den Pausen zwischen den Übungen dürfen alle Hunde miteinander toben. Das wird ein Spaß für die ganze Familie.
Dann kommt der große Tag und die Familie fährt zum vereinbarten Treffpunkt, um den Hund vom Trapo (Transporter) abzuholen. Am Tag vorher sind alle Fellnasen in die Käfige im LKW getragen worden und nach ca. 28 Stunden Fahrzeit sollen sie ankommen.´ Eine ganze Traube von Menschen wartet bereits am vereinbarten Übergabeort auf dem Parkplatz, alle sind schrecklich aufgeregt. Dann fährt der Trapo vor und die Hunde werden nacheinander den neuen Besitzern übergeben. Die meisten müssen getragen werden, weil sie nach der langen Reise völlig verunsichert und überfordert mit der Situation aussteigen und förmlich "einfrieren". Ein Hund beißt beim ausladen in seiner Verzweiflung wild um sich. Die neuen Besitzer drücken ihn dem Transporteur gleich wieder in die Hand und sagen, dass sie so einen aggressiven Hund nicht bestellt haben.
Dann wird der Name des neuen Familienmitglieds genannt und der Kleine wird aus dem Trapo gehoben, gesichert mit einem Sicherheitsgeschirr und Halsband. Die Familie übergibt die mitgebrachte Leine und der kleine Kerl wird doppelt gesichert übergeben. Auf dem Arm vom neuen Frauchen geht es dann in das Familienauto und nach Hause.
Zuhause angekommen geht es zuerst in den Garten. Es ist Herbst und auch ein bisschen stürmisch heute. Blätter fallen von den Bäumen und erschrecken den Neuzugang, der sich jetzt an der Leine wie ein Brummkreisel um die Menschen dreht. Danach steht er wie angewurzelt im Garten und bewegt sich keinen Schritt mehr.
Also wird er ins Haus getragen und sitzt dort regungslos für Minuten im Wohnzimmer. Als eines der Kinder sich nähert, flüchtet er in eine Zimmerecke und hinterlässt auf seinem Weg dorthin einen großen See auf dem Fußboden. Viel später, als die Menschen etwas ratlos in der Küche stehen, schleicht er sich auf ein Hundekissen, rollt sich ein und bleibt dort den Rest des Tages erschöpft liegen. Wenn sich jemand nähert, schaut er kurz mit einer Mischung aus Unsicherheit und leichtem Misstrauen hoch.
Der ausgiebige Willkommensspaziergang durch das Wohnviertel, den die Familie geplant hat fällt aus. Eigentlich hatte Frauchen vor den Hund noch schnell in die Badewanne zu stellen und ordentlich einzuseifen, damit er besser riecht. Nach einem leisen Knurren, als sie sich über den Liegeplatz beugt, verwirft sie dieses Vorhaben aber wieder.
Abends tagt der Familienrat, alle sind ein wenig ratlos, denn so hatte man sich den gemeinsamen Start nicht vorgestellt. Der Verein hatte zwar darauf hingewiesen, dass die Hunde noch nie in einer Familie gelebt haben und Zeit brauchen um anzukommen und Vertrauen zu fassen, aber er ist doch jetzt gut angekommen. Warum ist er denn nicht dankbar über seine Adoption ?
Am nächsten Morgen keine große Veränderung, der kleine Vierbeiner rutscht und rudert über das Laminat und kann sich kaum darauf halten. In den Garten muss er wieder getragen werden, weil er sich zwar noch über die Schwelle der Terrassentür traut, aber hilflos vor den fünf niedrigen Treppenstufen steht und keinen Plan hat, wie er die bewältigen soll.
Hinter dem Zaun des Nachbargrundstücks steht die Hündin der Nachbarn und der Kleine wird an der Leine in Richtung Zaun geführt, damit sich die beiden "HALLO " sagen können. Kurz vor erreichen des Zauns, macht die Hündin eine Spielaufforderung und bellt dabei kurz. Der Kleine zieht sofort den Schwanz ein, der Rücken wird rund, er duckt sich und rennt zurück zur Treppe. Die Menschen schauen sich an und beschließen, dass es wohl keine gute Idee ist, gleich zur ersten Unterrichtsstunde in die Hundeschule zu fahren...
So, oder so ähnlich kann der Einzug eines Tierschutzhundes verlaufen und leider passiert es immer häufiger, dass Menschen ihren Hund dann nach 24, 48, oder 72 Stunden wieder loswerden möchten, besonders wenn er knurrt oder in Bedrängungssituationen schnappt ER MUSS SOFORT WEG !!
Aber was erwarten wir denn von einem Hund, der in seinem Leben vielleicht noch nie in einem Haus gelebt hat, wenig Menschenkontakt hatte, gerade 1-2 Tage in einem Transporter gesessen hat und nicht weiß, was mit ihm passiert ? Ja, vielleicht steigt er aus und es ist, als wäre er schon immer bei uns gewesen, aber vielleicht eben auch nicht.
Einen Hund aus dem Tierschutz zu adoptieren ist immer ein Abenteuer, aber ein Abenteuer, das es absolut wert ist erlebt zu werden. Wenn wir offen sind für das was kommt, weniger erwarten und mehr hineinfühlen in unseren neuen Gefährten, dann haben wir einen spannenden und wunderschönen gemeinsamen Weg vor uns.
Menschen ohne oder mit wenig Hundeerfahrung empfehle ich einen Hund aus dem Tierheim, oder von einer Pflegestelle zu adoptieren. Auch wenn Hunde sich in einem anderen Umfeld auch völlig anders verhalten können, bekommt man meist eine gute Beschreibung des Wesens und Informationen über besondere Verhaltensweisen.
Ich liebe meine kleinen Wundertüten, die ich vom Trapo abgeholt habe. Es sind tolle Hunde, die einfach Zeit, Wohlwollen und Orientierung gebraucht haben. Jedes Mal, wenn ich die Entwicklung dieser zauberhaften Wesen miterleben darf, geht mir das Herz auf.
Hunde brauchen klare Menschen, die einen Handlungsrahmen vorgeben. Je unsicherer der Hund, desto mehr Führung braucht er. Grenzenlose Freiheit und das 24 Stunden Wohlfühlprogramm, weil der Hund ein so "schlimmes " Leben hatte sind kontraproduktiv und führen zu Orientierungslosigkeit und Stress beim Hund. Die Folge sind unerwünschte Verhaltensweisen, die Menschen dann versuchen "weg zu trainieren". Diese Symptombekämpfung führt aber zu einer Endlosschleife, weil immer wieder neue unerwünschte Verhaltensweisen auftauchen, wenn man eine Baustelle halbwegs behoben hat.
Ich kann einem Hund all meine Liebe geben und trotzdem Regeln und Grenzen setzen. Das Eine ist genau so wichtig wie das Andere und schließt sich nicht aus.
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